von Bernd Basting Mit
dieser Ausgabe setzen wir die Serie von Portraits der Bundesstaaten Indiens fort. Sie
beabsichtigen, ihren Teil dazu beizutragen, dem auffallenden Mangel an deutschsprachigen
Informationen über die ethnisch, sprachlich, kulturell, politisch und ökonomisch sehr
differenzierten indischen Regionen und Bundesstaaten zu begegnen. Indien wird hierzulande
zumeist - in hartnäckiger Ignorierung seiner Vielfalt -, als monolithischer Einheitsstaat
dargestellt. Bereits erschienen sind die Länderportraits Andhra Pradesh, Tamil Nadu,
Kerala, Assam, Bihar und Karnataka in den Ausgaben 2/97, 3/97, 6/97, 1-2/98, 4/98 und 5/98
von "Südasien".
Parashurama spann seinen Bogen, konzentrierte sich
maßnehmend, und der Pfeil surrte rasend ins heftig tobende Arabische Meer. Da steigt Land
den Fluten empor, ein grün-paradiesischer Küstenstreifen - Gomanta war geboren.
Wie so oft in Indien, hatten auch bei der Entstehung Goas die Götter ihre Hände im
Spiel. Hier in der Legende ist es der sechste Avatar (Erscheinungsform) des Gottes Vishnu.
Wenn man dies wunderschöne Stück Erde mit seinem mild-feuchtwarmen Klima, den üppig mit
Mango und Chashew-Nuß bewachsenen Hügeln und palmenumsäumten malerischen Stränden
ansieht, welches sich auf einer kleinen Fläche von 3.500 Quadratkilometern zwischen den
Western-Ghats und dem Arabischen Meer, an der mittleren Westküste der indischen
Halbinsel, hineinschmiegt, neigt man als gläubiger Mensch in der Tat dazu, an das Werk
einer schöpfend-übernatürlichen Kraft zu glauben.
Doch seine historische Wirklichkeit ist nüchterner. Zwar wird Goa bereits im Mahabharata,
den Puranas und anderen alten Hindu-Schriften erwähnt, unter dem Namen Gove oder eben
Gomanta. Konkrete Quellen und Dokumente finden sich indes erst im 11. Jahrhundert. Damals
herrschten dort die Kadambas, und sie verlegten ihre Residenz Chandrapur nach Goapuri,
welches zu einem bedeutenden Handelszentrum avancierte.Über beide frühen Hauptstädte im
südlichen Goa ist der Wind der Geschichte hinweggefegt und hat, außer schriftlichen,
keinerlei Spuren hinterlassen.
Während des hinduistischen Vijayanagara-Reiches galt Goa als ein wichtiger Importhafen
für Araber-Pferde. 1469 okkupierte Mahmud Gawan den Konkan für die muslimischen
Bahmani-Sultane, den Erzfeind Vijayanagaras in Südindien. Nachdem deren Reich kollabiert
war, übernahm 1488 der Sultan von Bijapur Goa. Unter dessen Herrschaft erblühte Alt-Goa
zur reichen Handelsstadt und zweiten Kapitale des Reiches. Die Adil Shahi-Dynastie wehrte
sich verbissen gegen ausländische Invasoren, die an der indischen Westküste
wirtschaftlichen Profit witterten. Aber 1506 konnte Alfonso de Albuquerque das
Küstengebiet von Goa für Portugal einnehmen. Sein geopolitisch geschulter Blick erkannte
sofort die hervorragende Lage des Hafens für das wachsende portugiesische Seereich:
Inmitten des Indischen Ozeans, am Schnittpunkt der Seerouten vom Persischen Golf und
Ostafrika nach Ostasien und unweit des größten Königreichs Südindiens, Vijayanagar.
Die gebirgige Region bot Sicherheit vor jedem feindlichen Zugriff, und durch die Breite
der Küstenebene existierte ein ausreichendes Hinterland, um eine große Stadt zu
ernähren.
Es folgte eine sukzessive Ausdehnung des kolonialisierten Gebietes, um die Provinzen
Bardez, Salcete und andere, bis im 18. Jahrhundert die Kolonie ihre endgültige Größe
erlangt hatte. Goa fungierte nun als Zentrum des portugiesischen Ost-Reiches.
Erobern, Geld verdienen und bekehren - das waren die vorrangigen Ziele der europäischen
Kolonisatoren. Der 1542 von Franziskus Xavier begonnenen Mission folgten 450 Jahre des
Katholizismus. Noch heute rechnen sich fast 40 Prozent der 1,2 Millionen Goaner zum
Christentum, und überall zeugen weiße Kirchen, kleine Andachtsstätten und Kruzifixe von
der Allgegenwart der fremden Religion, die sich nicht nur durch das Charisma ihrer
missionarischen Prediger, sondern auch mit der Macht von Gewehrkugeln und barbarischer
Tempel-Schändung zunächst gegen den einheimischen Hindu-Glauben durchsetzte.
Glaubt man dem Holländer Albert de Mandelslo, der 1639 Goa besuchte, war Alt-Goa (Velha
Goa) eine äußerst beeindruckende Kapitale: "Eine vornehme Stadt mit vielen schönen
Bauten und Palästen." Es hieß sogar: "Wer Goa gesehen hat, kann sich Lissabon
sparen!" Seine Vizekönige verwalteten Besitztümer, die sich bis zu dem chinesischen
Opiumhafen Macao und der Sandelholz-Insel Timor erstreckten. In den Alleen ihrer Stadt
promenierten die Portugiesen gemächlichen Schrittes, parlierten mit Freunden und
Bekannten; die Männer bezeugten den Damen höflich ihren Respekt, indem sie ein Bein
vorstreckten und sich so tief verneigten, daß die langen Federn an ihren Hüten über den
Boden schleiften. Die notorische Untreue der Ehefrauen muß für sie aber ein ständiges
Ärgernis gewesen sein. Der holländische Kaufmann Van Linschoten, der 1583 in Goa weilte,
weiß von ihrer "unersättlichen Begierde, die einen Mann zu Puder zermalmt und wie
Staub hinwegfegt" zu berichten. Auch Indern boten die Portugiesen gute Gelegenheit,
Geschäfte zu machen. Indische Händler verkauften in der Stadt Seide, Atlas, Damast und
chinesisches Porzellan; das Gewerbe der einheimischen Kupferschmiede, Tischler, Holz-,
Getreide- und Kunsthändler blühte; Inder administrierten die Pachtgelder und Einkünfte
des Vizekönigs, dominierten den Geldverleih und das Maklerwesen.
Das Leben in der imperialen Metropole, die zeitweise größer und prächtiger war als Rom
oder Lissabon, gestaltete sich für die europäischen Eindringlinge jedoch auch als ein
permanent gefährdetes. Malaria- und Cholera-Epedemien dezimierten ihre Zahl. Schon 1543
fielen ihnen ein Großteil der 200.000 meist portugiesischen Einwohner zum Opfer. 1635
reduzierte erneut eine Seuche die Hauptstadtbevölkerung erheblich. Im Verein mit der
wütenden Inquisition und dem Verlust der portugiesischen Weltmeerherrschaft an die
Holländer und Briten, schien sich schon ein früher Untergang der portugiesischen Macht
in Südindien abzuzeichnen. 1695 verlegte der Vizekönig seine Residenz nach Panelim und
1759 nach Panjim, das seit 1843 offiziell die Hauptstadt Goas darstellt.
1835 mußten die religiösen Orden auf Dekret der Regierung das Land verlassen. Alt-Goa
degenerierte zur Geisterstadt. Trotzdem zeigte sich Portugal nicht so schnell bereit,
seinen geraubten Besitz ohne Not preiszugeben. Es bedurfte massiven diplomatischen und
militärischen Drucks des freien, schon 14 Jahre lang unabhängigen Indien, ehe die
Kolonisatoren 1961 Goa aufgaben und sich aus dem Land treiben ließen.
Zusammen mit Daman und Diu wurde Goa dann zunächst der Zentral-Regierung in New Delhi
unterstellt und zu einem "Union Territory" deklariert, ehe es sich 1987 zum 25.
und kleinsten Bundesstaat der Indischen Union erklären konnte.
***
Goa wirkt in vielerlei Hinsicht anders als das übrige Indien. Manche charakterisieren es
als "Indien in gefilterter Form". Man entdeckt - außer in der Region der alten
Marktstadt Mapusa - beinahe keine Slums, der Verkehr mutet vergleichsweise geregelt an,
Straßen, Busse, Hotels, Restaurants und Strände sind auf den ersten Blick sauber;
Bettler, Verkrüppelte, Siechende oder Kranke sind kaum zu sehen. Die heitere Gelassenheit
des Südländers - hier ist sie keine Phrase des ignoranten ausländischen Beobachters,
sondern ein wesensbestimmender Charakterzug der Goaner, denen eine fast insulare, herzlich
offene, sympathisch kind-naive und optimistische Mentalität zu eigen ist.
So verwundert es nicht, daß Goaner gern und zahlreich Feste feiern, die im Karneval zum
Höhepunkt geraten. Drei Tage lang wird dann buntkostümiert und frenetisch ausgelassen
gefeiert. Jede Familie bastelt einen Dämon, der als Popanz ironisiert auf Festwagen und
mit Feuerwerk und dröhnendem musikalischen Tam-Tam durch die Straßen gezogen und am Ende
feierlich verbrannt wird. Tanz und Musik, wilde Trommelrhythmen durchdringen die Nächte,
und das goanische Nationalgetränk Feni - ein starkes Gesöff aus der Krone der Kokospalme
oder aus der Cashewnuß - fließt in Strömen.
Die Goaner besitzen eine eigene Sprache namens "Konkani" (benannt nach der
indischen Westküsten-Region Konkan), die eher mit der nordindo-arischen, denn der
drawidischen Sprachfamilie Südindiens verwandt ist. Nicht wenige Einwohner beherrschen
auch Marathi oder Englisch.
Das iberische Erbe kolonialer Vergangenheit wirkt noch immer kulturprägend und
präsentiert sich in einer augenfälligen Mixtur aus christlich-romanischen und
orientalischen Elementen. Die weißen Kirchen, rotziegelbedachte, mit umsäumenden Mauern
und idyllischen Innenhöfen ausgestattete prächtige Landhäuser im spanischen Stil, die
"taverna", in der man den Feni genießt, untermalt von Gitarrenklängen, einem
"mando", dem iberischen melancholischen Liebessong, oder von einem konkanischen
Volkslied, welches die großen Vorzüge des Monsuns besingt; kleine romantische
Fischerdörfer mit lauschig-engen Gassen, alte Häuser mit Fensterscheiben aus kleinen
Rechtecken lichtdurchlässiger Muschelschalen; bildhübsche, gutgekleidete, fröhlich
lachende Kinder, oft europäisch gewandete, Spitzenschleier tragende Frauen und grellweiß
behemdete Männer, sonntags dem Ruf der Kirchenglocke folgend - allerorten eine
friedliche, mediterran anmutende Atmosphäre. Auch fehlen die Großstadt-Moloche. Es
existieren gewachsene, noch intakte soziale Strukturen in Dörfern und Städten.
Die Welt hier scheint noch in der Ordnung, mutet an wie eine Oase inmitten der oft
brutalen, lauten, extremen, widersprüchlichen Erscheinungsformen der sie umgebenden
Wirklichkeiten Indiens.
Doch schaut man genauer hin, erfährt dies paradiesische Bild Brechungen, entdeckt man
auch andere Seiten goanischen Alltags. Der bröckelnde Putz an einst herrschaftlichen,
heute dem morbiden Verfall preisgegebenen Prachtvillen in der portugiesischen Altstadt von
Panjim wird zum plastischen Sinnbild für die einschneidenden Veränderungen, die sich in
Goa im Zuge eines pointiert profitorientierten Wirtschaftskurses vollziehen. Sie zeitigen
gesamtgesellschaftlich vornehmlich negative, dekadente Wirkungen, indem sie den
allmählichen Verfall traditioneller und gewachsener Wirtschafts- und Sozialstrukturen
generieren und die Umwelt geschändet zurücklassen: Viele Kleinfischer können der
Konkurrenz mächtiger Fischereikonzerne mit ihren großen dieselbetriebenen Trawlern kaum
noch standhalten. Häufig lohnt es sich für sie nicht mehr, ihren zunehmend karger
werdenden Fang zu verkaufen, so daß sie keineÜberschüsse erwirtschaften können und auf
Subsistenzniveau herabsinken. Sie haben noch Glück, wenn sich ihnen die Gelegenheit
bietet, mit ihren Fischerbooten in der Nicht-Monsun-Saison Touristen von Strand zu Strand
zu schippern und damit einen gewissen Ausgleich zu verdienen.
Die Erträge in der Landwirtschaft - Reis, Kokos, Bananen und Cashew - fallen für die
einzelnen Bauernfamilien bescheiden aus, da ihre Anbauflächen wegen der geringen Größe
des tropischen Bundesstaates sehr begrenzt sind.
Die traditionellen Wirtschaftszweige und Industrien Goas - der Abbau von Eisenerz, Mangan
und Bauxit, die Produktion von Reifen, Konserven und Düngemitteln - stehen unter einem
großen Modernisierungs- und Rationalisierungsdruck, der zunehmend Arbeitskräfte
freisetzt.Überdies sind sie räumlich stark konzentriert, auf die Region und Stadt Vasco
da Gama in Mittelgoa, in der auch das Luft-Einfallstor des Landes, der Dabolim-Flughafen,
liegt.
Goas Waldbestand ist inzwischen auf niedrige sechs Prozent geschrumpft. Mit Holz lassen
sich heute hohe Preise erzielen. Holzeinschlags-Konzessionen sind bei entsprechender
Liquidität leicht zu bekommen; denn zwischen politischen Eliten und Holzlieferanten gibt
es enge Verbindungen zum gegenseitigen Nutzen.
***
Der Tourismus boomt, weil Goa mit seinen traumhaften Sandstränden wie Calangute, Baga
oder Vagator, den eindrucksvollen Zeugnissen iberisch-barocker Sakralarchitektur wie der
"Kirche der Unbefleckten Empfängnis" in Panjim, der Se-Kathedrale und der Bom
Jesus-Basilika in Alt-Goa, der grün-tropischen Landschaft und der insularen Atmosphäre
ein attraktives Reiseland darstellt. Die touristische Branche ist inzwischen ebenfalls in
den Rang einer Industrie erhoben worden. Aber davon profitieren immer mehr nur noch große
einheimische und ausländische Reise-Konzerne, kapitalträchtige Hotelketten,
Travel-Agenturen und Bauunternehmen. Das reizvolle, palmendurchzogene direkte Hinterland
der Strände wird fortschreitend mit häßlichen Hotelappartements und anderer
phantasielos entworfener touristischer Infrastruktur zubetoniert. Hatte man dabei früher
noch - für Indien vorbildlich - auf Umweltschonung und weitgehend harmonische
Integrierung in die natürliche und architektonisch-bauliche Umgebung geachtet und
beispielsweise vielstöckige Hotel-Hochbauten vermieden, scheinen diese guten Grundsätze
heute keine Rolle mehr zu spielen und werden skrupellos wie kurzsichtig dem
tourismusunternehmerischen Ziel der Profitmaximierung geopfert.
Die Entsorgung des Mülls, den die vornehmlich aus Großbritannien, Frankreich, USA,
Israel und Deutschland stammenden Touristenscharen hinterlassen, bereitet wachsende und
mancherorts immer sichtbarere Probleme, wie auch der zunehmend verschwenderische Umgang
der Hotelbetreiber mit der für alle Einheimischen so wichtigen Ressource
"Süßwasser".
Die Tourismusindustrie hat eine andere Wasserkultur hervorgebracht, als sie früher in Goa
existiert hat. Diente Wasser vorher einzig zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der
einheimischen Bevölkerung - zum Trinken, Kochen, Waschen und zum Bewässern von Feldern -
wird Wasser nun mehr und mehr zum ausgebeuteten Objekt: Wassergierige Luxushotels
verbrauchen jedes für sich 250.000 (!) Liter Wasser täglich für den Swimming Pool, die
grünen Rasenflächen und die Duschen und Badewannen ihrer Gäste. Zu diesem Zweck wird
Wasser aus den Dorfbrunnen gepumpt oder man errichtet spezielle Pipelines. Die Abführung
großer Mengen Wassers aus den Wasservorkommen zu den Hotels zeitigt eine Absenkung des
Grundwasserspiegels und inzwischen nicht selten gar ein Trockenfallen der Brunnen. Die
goanischen Frauen müssen zum Wasserholen für ihre privaten Haushalte immer größere
Entfernungen zu noch intakten Brunnen zurücklegen. Seit einiger Zeit bohren die Hoteliers
sogar innerhalb einer Schutzzone von 500 Metern oberhalb der Hochwasserlinie, was zum
Eindringen von Salzwasser ins Grundwasser führt. Das Gesetz schreibt den großen Hotels
Abwasserklärwerke vor, die zwar gebaut, aber häufig nicht betrieben werden; man zieht
stattdessen die Betriebskosten-einsparende Methode vor, Abwässer direkt in den Fluß zu
"entsorgen".
Wasser wird zudem seit Beginn der neunziger Jahre in großen Mengen verschwendet und
verseucht durch das Anlegen und die Pflege von Touristen-Golfplätzen. Um das künstliche
Grün für dieselben zu schaffen, werden wasserspeichernde natürliche Gräser, Büsche,
Blumen und Bäume großflächig zerstört. Statt im Boden zu versickern und damit
Grundwasservorkommen anzureichern, fließt nun der Regen oberflächig ab oder verdunstet.
Zum Erhalt der Golf-Grünflächen müssen massiv Fungizide, Herbizide, Pestizide und
Bodenkoagulate eingesetzt werden, die Böden wie Grundwasser irreversibel kontaminieren.
Die engagiert, aber leider bis dato ziemlich erfolglos dagegen protestierenden Mitglieder
der Frauen- und Umweltgruppe "Bailancho Saad" fragen deshalb folgerichtig:
"Was nützen Jobs, wenn wir unsere Lebensgrundlage verlieren?" Und ihre
führende Aktivistin Albertina Almeida ist überzeugt: "Wir brauchen keine Ökonomie,
die vom Tourismus abhängig gemacht wird. Tourismusentwicklung sollte nur geschehen, wenn
den Einheimischen inklusive der Frauen ermöglicht wird, an Entscheidungsprozessen
teilzuhaben!"
In den späten sechziger Jahren hat sich an den Stränden Goas eine von jungen Ausländern
bestimmte Hippie- und Aussteigerkultur entwickelt, die wilde Strandpartys mit lauter,
nächtlicher Musik sowie exessiven Alkohol- und Drogenkonsum mit sich brachte und die
einheimische Feste- und Freizeitkultur an den Stränden beinahe verdrängte. Inzwischen
sind die Hippies weitgehend abgelöst worden (es gibt sie nur noch in Anjuna und Vagator)
durch westliche Techno-Freaks, die aber ebensolche dröhnenden Nachtpartys feiern und
wenig Interesse haben, mit Goanern in Kontakt zu kommen bzw. deren Lebensalltag und
kulturelle Traditionen kennenzulernen. Bei den Goanern stößt ihr Auftreten meist auf
Befremden.
Hier soll nicht einem ideologisiert-tumben Anti-Tourismus das Wort geredet werden. Ohne
Zweifel ist das Tourismus-Gewerbe für Goa ein bedeutender Wirtschaftszweig, der auch noch
vielen Goanern, die sich auf der unteren sozialen Stufenleiter befinden, gewisse
Einkommenspotentiale offeriert. Denn das Problem ist leider, daß es allzuviel Auswahl an
Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten in dem kleinen Land nun mal nicht gibt. Aber der
beschriebene neue Trend im Goa-Tourismus, mit seinen negativen ökologischen und sozialen
Folgen, gestaltet sich bedenklich und sollte zugunsten einer "sanfteren"
Tourismus-Strategie, wie man sie dort noch konsequent in den siebziger und achtziger
Jahren verfolgt hat, umgekehrt werden.
***
Und die Politik? Was tut sie, um solche Effekte zu vermeiden? Kurz gesagt: Nichts. Die
Philosophie des freien Marktes und der ökonomischen Gewinnmaximierung um jeden Preis, die
seit der Initiierung der "new economic policy" 1991 propagiert wird, hat auch in
Goa mit Macht Einzug gehalten und läßt ausländischen Unternehmen wie indischen
Geschäftsleuten in ihrem Handeln weitgehend freie Hand. Korruption spielt dabei eine
grassierende Rolle, nicht nur im Tourismus-Sektor. "Zuwendungen" von
Wirtschaftsbossen lassen Amtsinhaber aus Politik und Verwaltung großzügig über die
Nichteinhaltung strenger Umweltschutz-, baugesetzlicher oder sonstiger Auflagen
hinwegsehen. Das führt zur schleichenden ökologischen Katastrophe, aber manchmal auch zu
plötzlichen und augenfälligen Maleuren: So stürzte 1989 Panjims schöne neue
Straßenbrücke in den Mandovi-Fluß und vier Menschen starben; bei der Verwendung des
Baumaterials hatte man verbrecherischen Pfusch betrieben - minderwertiges Baumaterial,
zuviel Sand und Schutt, zuwenig Beton.
Aber Korruption ist ein all-indisches Phänomen, nur in Goa sind die Wirkungen wohl
gravierender, als in den großen Flächenstaaten der Union.
***
Wie ist die aktuelle landespolitische Machtlage?
Bei der letzten Wahl zum Bundesparlament im Frühjahr 1998 landete die
"Congress"-Partei mit 31,5 Prozent knapp vor der hindu-nationalen
"Bharatiya Janata Party" (BJP), die immerhin 30,2 Prozent für sich verbuchen
konnte.
Die Landesregierung in Panjim, die seit 1980 kontinuierlich vom "Congress"
gestellt wurde, stürzte am 29. Juli diesen Jahres. Die Entlassung des Chefministers
Pratapsinh Rane erfolgte auf Initiative des einflußreichen Gouverneurs J.F.R. Jacob, der
dabei ex negativo den Verfassungsartikel 164 anwendete, in dem zu lesen ist: "Die
Kabinettsminister in einem Bundestaat haben ihr Amt mit dem Wohlwollen und der Tolerierung
des Gouverneurs auszuüben." Jacob hatte sich, wohl auf Druck aus New Delhi, dazu
entschlossen, dem Landesregierungschef Rane sein Wohlwollen zu entziehen. Nun hat im
Regierungspalast von Goas Hauptstadt eine Koalitionsregierung aus BJP und zweier
goanischer Regionalparteien, dem "Goa Rajiv Congress" und der
"Maharashtrawadi Gomantak Party", das Sagen. Als neuer Chefminister agiert
Wilfred D"Souza.
Aber die Goaner sind - im auffallenden Gegensatz zu Bevölkerungen vieler anderer
Bundesstaaten Indiens - in ihrer Mehrzahl ausgesprochen a-politisch, insular eben. Lieber
genießen sie Sonne, Strand, Feni und Feste, als sich um hohe Politik zu kümmern, die
gemeinhin ohnehin als "schmutzig", "korrupt" und "elitär"
betrachtet wird. Daran kann wohl auch die sehr gute Presse des Landes, wie sie zum
Beispiel durch den "Goa Herald", den "Panjim Herald" oder die
"Navhind Times" repräsentiert wird, wenig ändern.
Glückliches, paradiesisches Goa?
![ah_linie.gif (1558 Byte)](../../../images/ah_linie.gif)
Stand: 07. Dezember 1998, © Asienhaus Essen / Asia
House Essen
Webspace and technical support provided by Asia Point Network
Volltextsuche
auf der Asienhaus-Homepage |